ZWISCHEN DEN ZEILEN

Begrenzter Wohnraum fordert alternative Wohnkonzepte. Flexibilität und daraus resultierende Mobilität sind Grundvoraussetzungen einer modernen Lebensweise. Zwischen den Zeilen organisiert in einer 2,20m breiten Baulücke eine funktionale Buchrestaurierungswerkstatt mit Wohnbereich.

Die Mainzer Neustadt steckt im Moment mitten in einem Segregationsprozess, der das Stadtbild sowie das Klientel des Viertels zunehmend in eine Richtung tendieren lässt. Eine fortschreitende Gentrifizierung ist seit einigen Jahren im Gange. Das einstige Problemviertel durchmischt sich immer mehr. Studenten und Künstler siedeln sich hier an. Eine alternative Szene hat Einklang gefunden. Diese verfolgt den zeitgenössischen Nachhaltigkeitsgedanken, fordert die Rückbesinnung und dem Qualitätserhalt. Alte Werte und Strukturen werden aufgegriffen und neu bzw. zeitgerecht interpretiert und kombiniert.

So ist es gar nicht abwegig, dass sich hier ein traditionsreicher, Kulturgut erhaltender Betrieb wie ein Buchrestaurator niederlässt.
Die Restaurierung sowie das Viertel zielen nicht auf eine Rekonstruktion, ein Plagiat der Vergangenheit ab, sondern auf deren Konservierung und Pflege für kommende Generationen. In der kleinen Baulücke in der Forsterstraße 25 soll eine geeignete Werkstatt entstehen. Fachlicher Schwerpunkt ist die Einbandrestaurierung mit einer Spezialisierung auf hölzerne Buchdeckel des 15.-16. Jahrhunderts.

Der Entwurf „Zwischen den Zeilen“ organisiert in der 2,20m breiten Baulücke eine funktionale Buchrestaurierungswerkstatt mit Wohnbereich. Mithilfe eines Schienensystems werden Rollschränke, ein gängiges Mittel in Archiven, von Position zu Position bewegt. Es entsteht ein flexibler Grundriss der eine platzsparende und eine arbeitsoptimierte Variante anbietet. Um das Gebäude ausreichend mit Tageslicht zu versorgen besteht die Fassade aus einer Kombination aus normalem und satiniertem Glas. Deren Anordnung folgt einem an Körpermaße und Gebäudeproportion ausgerichteten Raster welches auch im Innenraum Bezug auf die Schränke nimmt. Auch das zum Hinterhof gerichtete Pultdach mit Oberlichtern versorgt den Wohnbereich mit ausreichend Süd-West Belichtung.

Um die ursprüngliche Eingangssituation des Nachbargebäudes beibehalten zu können und den Hinterhof für alle zugänglich zu lassen
wird das Entwurfsgebäude aufgebockt. Über eine steile Treppe, ähnlich einer Bibliotheksleiter, wird das Gebäude im ersten
Obergeschoss erschlossen. Die Erschließungssituationen gleichen sich in den vier Etagen. Durch das Aufschieben einer Falltür soll ein
bewusster räumlicher Wechsel spürbar gemacht werden. Diese horizontalen Türen dienen gleichzeitig der Arbeitssicherheit und
Bewegungsfreiheit im Werkstattbereich und der räumlichen Trennung zum Wohnbereich.

Die Raumorganisation folgt dem Prinzip eines funktionsneutralen Hauptraumes der durch das Verschieben der bündig im Holzboden eingelassenen Rollschränke verschiedene Arbeitsplätze preisgibt. Das manuelle Verschieben wird durch eine Führungsschiene und eine
Laufschiene ermöglicht. Auch eine konstante Stromversorgung wird über eine Art Doppelschiene ähnlich der einer Untergrundbahn
gewährleistet. Der Wasseranschluss wird an den Arbeitspositionen manuell angeschlossen.
Gearbeitet wird zwischen den Schrankzeilen. Die Raumbewegung ist auch in den transluzenten Schrankrückwänden sichtbar. Durch
eine Verdichtung und Öffnung des diffusen Lichteinfalls entsteht eine Art Typographie der jeweiligen Raumsituation. Auch die Fassade
agiert wie ein sanfter Spiegel der Bewegung.

ARBEITEN
Im 1. Obergeschoss befinden sich Zonierungen die eine Nasszelle und einen Raum für grobe, spanende Holz– und Lederbehandlung
formen. Um Feinarbeiten zu erledigen sind Papierschrank,Pressen, Pappschere & co im 2. Obergeschoss angesiedelt. Durch das
optionale Öffnen des kompakten Schrankblockes entsteht ein flexibles Spiel mit dem Raum.

WOHNEN
Auch im Wohnbereich, beginnend im 3. Obergeschoss sind die bedienenden Nutzräume in Rollschränken organisiert. Einzig fest
stehendes Element ist das Badezimmer, welches mit einer deckenhohen satinierten Glasscheibe Raum und Duschkabine zoniert. Der
Raum passt sich den verschiedenen Wohnsituationen an. So ist eine einfach zugängliche, platzoptimierte Alltagssituation
gewährleistet welche zu gegebenem Anlass umfunktioniert werden kann. Durch das Ausziehen eines Esstisches im 2. Küchenblocks
können Gäste empfangen werden. Das Öffnen der Hinterhoffassade ermöglicht eine Art Balkonsituation mit mobiler Küche für
gemütliches Beisammensein im Sommer. Auf der Galerieebene im 4. Obergeschoss hat das Schlafzimmer Einklang gefunden

2014
All images ©: Valerie Kraemer